Ein Dreivierteljahr nach den Wahlen hat Tschechien wieder eine vom Parlament gewählte Regierung. Was immer noch fehlt: Ein klarer Plan, wohin das vom Multimilliardär Andrej Babiš angeführte Kabinett das Land führen will. Das Programm ist ein Flickwerk, dass es allen irgendwie recht machen möchte. Und schon zum Start gibt es die ersten Skandale.
von Niklas Zimmermann
Was lange währt, wird endlich gut? Fast neun Monate musste Tschechien nach den Wahlen auf eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit warten. Letzte Woche war es so weit: Das Abgeordnetenhaus erteilte der Koalition des Wahlsiegers Andrej Babiš mit den bei den Wahlen stark geschrumpften Sozialdemokraten seinen Segen. Für lautstarke Proteste im und vor dem Parlament sorgte der Umstand, dass die Minderheitsregierung sich auf die passive Unterstützung der orthodoxen Kommunisten stützt. Die Beteiligung der mit dem früheren Unrechtsregime verbundenen Partei birgt in Tschechien immer noch viel Empörungspotenzial. Und da ist auch noch die Causa „Storchennest“: Premierminister Babiš ist offiziell des Subventionsbetrugs mit EU-Fördergeldern angeklagt. Ob er im Falle einer Verurteilung sein Versprechen einhält und zurücktritt, wird sich zeigen. Jedenfalls genießt der Agrar- und Medienunternehmer die bedingungslose Unterstützung von Staatspräsident Miloš Zeman.
Eigentlich sollte gerade dieses Regierungsbündnis Schlimmeres verhindern. Im April ließ die sozialdemokratische ČSSD wegen des „Storchennests" schon einmal Koalitionsgespräche mit Babiš und seiner ANO-Partei platzen. Ein Bündnis von ANO, Kommunisten und der rechtsradikalen SPD lag in greifbarer Nähe. Die Pläne wurden aber von einigen ANO-Abgeordneten durchkreuzt. Sie waren nicht zu einem Pakt mit der SPD bereit, deren Vorsitzender Tomio Okamura nicht nur gegen die EU und Migranten hetzt, sondern auch den Roma-Holocaust verharmlost. Somit nahm Babiš die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten wieder auf und bot ihnen das zuvor verweigerte Innenministerium an. Die ČSSD-Mitglieder gaben in einem Referendum grünes Licht. Somit nimmt eine Partei, die beim letzten Urnengang zwei Drittel ihrer Wähler verlor, wieder auf der Regierungsbank Platz.
Antiliberale Versuchungen
Regierungschef Babiš erzählt auf europäischer Ebene gerne, dass er ein Garant dafür ist, dass in Tschechien nicht noch radikalere Kräfte am Ruder sind. Das ist nicht nur im Hinblick auf die kommunistischen Mehrheitsbeschaffer zu hinterfragen. Es reicht der Blick auf die Entwicklung der Parteien ANO und ČSSD: Die ganz auf den Parteiführer zugeschnittene ANO entstand ursprünglich als Alternative für liberale Städter, die von der skandalbehafteten Mitte-Rechts-Regierung von 2010 bis 2013 enttäuscht waren. Verkörpert wurde dieser Anspruch durch den späteren Justizminister Robert Pelikán, der sich Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen schrieb. Oder durch den früheren Schauspieler Martin Stropnický, der die Ämter des Außen- und Verteidigungsministers. Beide überstanden die jüngste Regierungsbildung nicht und scheiden aus der Politik aus. Stärker denn je ist hingegen die Position des ehemaligen Staatsicherheitsagenten Andrej Babiš. Dass er kürzlich die Kommunisten als „demokratische Partei“ adelte, ist kein Zufall. ANO warb bei ihrem Siegeszug bei den letzten Wahlen vor allem sozialdemokratische und kommunistische Wähler ab.
Noch stärker in die antiliberale Richtung bewegt sich die sozialdemokratische ČSSD: 2013 hieß ihr Präsidentschaftskandidat Jiří Dienstbier. Er war nicht nur Sohn des berühmten Dissidenten gleichen Namens, sondern in Umfragen auch beliebtester Politiker Tschechiens. Er verband liberale Positionen mit der Forderung nach einem starken Sozialstaat. Als stattdessen aber der Linksnationalist Miloš Zeman zum Präsidenten gewählt wurde, verlor der weiterhin gegen Zeman opponierende Dienstbier seinen Sitz im sozialdemokratischen Parteivorstand. Damit begann sein politischer Abstieg. Einen steilen Aufstieg legte hingegen Jaroslav Foldyna hin: Er wurde jüngst zu einem der ČSSD-Vizepräsidenten gewählt. Er steht für eine derbe Sprache und die Ablehnung von Immigration. Zugleich stellt er seine Zuneigung zum russischen und serbischen Nationalismus zur Schau. Eher verstörend wirkt ein Video, in dem der Hobbyboxer Foldyna aus dem Kraftraum gegen Gegner der von ihm verehrten russischen „Nachtwölfe“ zetert. Er ist wie der stellvertretende ČSSD-Vorsitzende Jiří Zimola für ein Referendum über die weitere EU-Zugehörigkeit Tschechiens. Dies ist ein klarer Bruch mit dem bis vor einem Jahr amtierenden Parteichef und Premierminister Bohuslav Sobotka, der sich an der westeuropäischen Sozialdemokratie orientierte.
Billigbier für alle
Im populistischen Fahrwasser befindet sich auch die auf der Regierungswebsite veröffentlichte Programmerklärung. Sinnbild dafür ist das Ansinnen, die Mehrwertsteuer auf frischgezapftes Bier zu senken. Dabei ist der Bierkonsum im europäischen Vergleich ohnehin schon sehr kostengünstig. Und die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte erst kürzlich vor den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums in Tschechien. Und einer Phantomjagd gleicht die Präambel der Programmerklärung: Zuvorderst im 40-seitigen Dokument verpflichtet sich das neue Kabinett auf die Ablehnung europäischer Migrationsquoten. Dumm nur, dass die europäischen Regierungschefs inklusive der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Quotenregelung schon längst für gescheitert erklärten. Die wirklich aktuellen europapolitischen Ziele der sich zu einer „aktiven“ EU-Mitgliedschaft bekennenden Regierung sind hingegen unklar.
Als eine „Regierung für alle“ bezeichnet Premierminister Babiš sein Kabinett. Das Wochenmagazin Respekt schreibt hingegen vom Prinzip, allen Alles zu versprechen. Dieser Eindruck bestätigt sich beim Blick in das Programm. Es bringt das Kunststück fertig, die Erhöhung von Renten und Investitionen bei gleichbleibend tiefen Steuern zu verheißen. Die simple Addition von linken und rechten Positionen erinnert mehr an Zauberei als an die Unternehmererfahrung des Regierungschefs. Es ist nicht so, dass es in der Programmerklärung nicht auch sehr berechtigte Punkte gäbe: Die seit Jahren überfällige Erhöhung der Lehrergehälter ist eine davon. Wobei auch hier zeigt das Kabinett keinen Weg zur Finanzierung auf. Man hofft, dass es kein leeres Versprechen bleibt.
In verschiedenste Richtungen blinkt die Regierung auch in der Außenpolitik: In der Migrationspolitik sollte eine eher euroskeptische Klientel bedient werden, während das Bekenntnis zur NATO an die Russland-Gegner gerichtet ist. Auf den ersten Blick überrascht auch die Unterstützung einer „Ehe für Alle“. Dies ist insofern bemerkenswert, weil andere mittelosteuropäische Länder wie Polen und Ungarn in den letzten Jahren alles dafür taten, um die Ehe als eine Verbindung von Mann und Frau festzuschreiben. Aber das ist wohl der Unterschied zwischen dem Hyper-Pragmatiker Andrej Babiš und nationalkonservativen Dogmatikern wie Jarosław Kaczyński oder Viktor Orban: Babiš vertritt keine Ideologie, sondern begreift Politik primär als Wettbewerb um das beste Marketing. Das hat zumindest den Vorteil, dass dem Premierminister die Kreuzritter-Attitüde fremd ist. Und er achtet allein schon wegen seinen ökonomischen Interessen darauf, Tschechien nicht vollständig zu isolieren.
Fragwürdige Personalien
„Keine Amateure in der Politik“ – das war ein Wahlspruch, mit dem Miloš Zeman vor fünf Jahren in seinem erfolgreichen Kampf um das Präsidentenamt warb. Bei der von ihm unterstützten neuen Regierung schaut Zeman aber weg. Dabei hätte er allen Grund zur vehementen Kritik: Bereits vor der Vertrauensabstimmung musste die Justizministerin Taťána Malá zurücktreten. Ihre Diplomarbeit über Kaninchenzucht stellte sich als Plagiat heraus. Eine Woche später erwischte es den sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialminister Petr Krčál. Seine Bachelorarbeit ist mit der einer Kommilitonin weitgehend identisch. Auch Krčál nahm inzwischen den Hut. Damit gibt die Regierung schon bei ihrem Antritt ein denkbar schlechtes Bild ab. Und es besteht ein eklatanter Widerspruch zum Credo von Regierungschef Babiš, mehr Expertise in die tschechische Politik zu bringen.
Letztlich ist aber auch diese Regierung demokratisch gewählt und wird voraussichtlich die nächsten dreieinhalb Jahre im Amt bleiben. Eine kleine Hoffnung bleibt, dass sie sich nach dem Stolperstart zu mehr Professionalität aufrafft. Und die sehr heterogene Opposition ist aufgerufen, in den wichtigen Fragen zusammenzuarbeiten und bei den nächsten Wahlen eine glaubwürdige Alternative zu bieten. Denn klar ist: Tschechien und seine Bewohner haben eine bessere Regierung verdient als eine, die als Raison d'Être primär den eigenen Machterhalt sieht.
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