Letzte Woche scheiterten in Tschechien die Koalitionsverhandlungen zwischen der ANO-Partei von Premierminister Andrej Babiš und den Sozialdemokraten. Nun drängt Staatspräsident Miloš Zeman auf ein Bündnis von ANO, Kommunisten und Rechtsradikalen. Wie kommt es dazu, dass eine Koalition der Populisten und Extremisten so wahrscheinlich ist wie nie zuvor?
von Niklas Zimmermann
Eher überraschend kam vergangenen Freitag die Meldung, dass die Koalitionsgespräche zwischen ANO und der sozialdemokratischen Partei ČSSD geplatzt sind. In den letzten Wochen sah es so aus, als wäre die Regierungsbildung in Tschechien nur noch Formsache. Das Bündnis hätte dank der Tolerierung durch die orthodoxen Kommunisten eine Parlamentsmehrheit gehabt. Aber es kam anders: ČSSD-Chef Jan Hamáček begründete den Rückzug seiner Partei damit, dass Premierminister Andrej Babiš nicht bereit gewesen sei, den Regierungsvorsitz abzugeben oder dem Koalitionspartner wenigstens das Innen- oder Finanzministerium zu überlassen. Hintergrund der Problematik ist, dass Babiš wegen Subventionsbetrugs angeklagt ist. Eine Koalition mit dem Multimilliardär gilt damit als Reputationsrisiko für die anderen Parteien. Erik Tabery schreibt im Wochenmagazin Respekt, dass in den gescheiterten Verhandlungen zwei Sichtweisen aufeinanderprallten: ANO war als deutlicher Wahlsieger der Meinung, dass die sozialdemokratischen Wahlverlierer für das Koalitionsangebot dankbar sein sollten. Dagegen die ČSSD verlangte eine Extra-Belohnung dafür, dass sie ein Bündnis mit dem umstrittenen Babiš eingeht, gegen den am Montag erneut landesweite Proteste stattfanden.
Die Agenda des Staatspräsidenten
Zu Wochenbeginn galt ein Amtsverzicht des Premierministers als nicht mehr ausgeschlossen. Doch sein gestriges Treffen mit Staatspräsident Miloš Zeman setzte den Spekulationen ein Ende: Der Präsident beauftragte erneut Babiš mit der Regierungsbildung und empfahl ihm ein Bündnis mit den Kommunisten und der rechtsradikalen Partei SPD. Damit stellte Zeman einmal mehr seine persönlichen Präferenzen über die Interessen des Landes. Man muss dazu wissen, dass der Präsident im liberal-demokratischen Lager regelrecht verhasst ist und selbst immer wieder Rache an den früheren sozialdemokratischen Parteifreunden nimmt. Seine treuesten Anhänger finden sich inzwischen bei den Kommunisten und Rechtsradikalen. Mit ihnen teilt Zeman die Abneigung gegen Immigration, unabhängige Medien und den politischen Westen generell. Andrej Babiš gab sich nach dem Treffen mit dem Präsidenten defensiv und verwies darauf, dass seine Partei morgen Donnerstag das weitere Vorgehen berate. Auch wenn viele ANO-Abgeordnete ein Zusammengehen mit der rechtsradikalen SPD ablehnen, setzen die präsidialen Wünsche Babiš unter Zugzwang: Denn Zeman könnte alternativ auch eine Übergangsregierung einsetzen. Das bedeutet unter diesem Präsidenten eine Regierung der „Freunde von Miloš Zeman“ und es werden Erinnerungen an das Jahr 2013 wach, als Zeman seinen Vertrauten Jiří Rusnok als Übergangspremier einsetzte.
Kontrolle um jeden Preis
Zweifellos will Andrej Babiš die wichtigsten Regierungsposten unter seiner Kontrolle behalten. Dies bezeugt nicht nur seinen Machtinstinkt, sondern ist auch mit handfesten Interessen zu erklären: In der Anklage um die EU-Subventionen für sein Resort „Storchennest“ droht ihm großes Ungemach. Durch das Innenministerium könnte Babiš die Arbeit der Polizei beeinflussen. Dass er davor nicht zurückschreckt, zeigen seine Versuche, den Leiter der Generalinspektion der Sicherheitskräfte (GIBS) abzusetzen. Und mithilfe des Finanzministeriums könnte der Agrar- und Medienunternehmer das Regierungshandeln auf seine eigenen Bedürfnisse abstimmen. Verdächtig erscheint auf jeden Fall, dass der Premierminister offenbar mehr Interesse an diesen Schlüsselministerien als an der Bildung einer stabilen Regierung hat. Schon im Januar verlor Babiš die Vertrauensabstimmung im tschechischen Parlament und ist seitdem bloß geschäftsführend im Amt. Wenn er auf den Regierungsvorsitz verzichtet und zumindest das Innenministerium abgibt, wären die Chancen auf eine Einigung mit den Sozialdemokraten und zusätzlich einer Partei der politischen Mitte intakt. Als Premierminister könnte man sich dabei den Brünner ANO-Oberbürgermeister Petr Vokřál vorstellen. Er gilt als integer und politisch gemäßigt. Im Unterschied zu Parteichef Babiš unterstützte er bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen den Zeman-Gegenkandidaten Jiří Drahoš.
Selbstgerechtigkeit der Opposition
Dass ANO eine solche Lösung nicht ernsthaft anstrebt, ist Ausdruck staatspolitischer Verantwortungslosigkeit. Eine Mitschuld trifft aber auch die Oppositionsparteien: Es ist inkonsequent, dass sie Babiš das Versagen bei der Regierungsbildung vorwerfen, gleichzeitig sich aber selbst dem Gespräch verweigern. Nicht vom Realismus gesegnet ist auch der Vorschlag des christdemokratischen Parteichefs Pavel Bělobrádek, dass sechs Parteien zusammen eine „nicht-extremistische“ Regierung bilden. Weil eine solche Allianz aber immer noch keine Mehrheit hätte, sollte sie ausgerechnet von Babiš geduldet werden. Fakt ist und bleibt: An ANO mit ihren 78 von 200 Parlamentssitzen führt bei der Regierungsbildung kein Weg vorbei. Die Partei wird ihren Führungsanspruch geltend machen. Zudem ist es mit der „nicht-extremistischen“ Herrlichkeit nicht allzu weit her: Bei der rechtskonservativen Partei ODS gilt der für den EU-Austritt plädierende Václav Klaus ml. als kommender Spitzenmann. Und bei den Sozialdemokraten wurde der Russlandfreund Jaroslav Foldyna jüngst in das Parteipräsidium gewählt. Beide sind in ihren Positionen nicht weit von SPD und Kommunisten entfernt. Anstatt in Selbstgerechtigkeit zu schwelgen, könnten die Parteien mit klaren, aber erfüllbaren Forderungen auf Babiš zugehen. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob eine illiberale und europafeindliche Regierung von ANO, Kommunisten und Rechtsradikalen noch verhindert werden kann. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Bündnisses ist jedenfalls so groß wie nie zuvor.
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