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Hoffnung weiter wagen!

Tschechiens Staatspräsident Miloš Zeman schaffte knapp die Wiederwahl. Das bedeutet fünf weitere Jahre Narrenfreiheit für den Provokateur. Die Enttäuschung im Anti-Zeman-Lager ist riesig. Dennoch gilt es, kühlen Kopf zu bewahren: Die Gesellschaft ist nicht so tief gespalten, wie das Ergebnis den Anschein macht. Und der Ruf nach dem charismatischen „Anti-Zeman“ führt in die Irre.

 

von Niklas Zimmermann

 

Am Ende konnten auch die Auslandstschechen, von denen 90,3 Prozent für den Chemieprofessor Jiří Drahoš stimmten und die Hauptstadt Prag, in welcher sich 68,8 Prozent für einen Wechsel aussprachen, nichts daran ändern: Der amtierende Staatspräsident Miloš Zeman wurde mit 51,4 Prozent der Stimmen knapp wiedergewählt. Sein Widersacher schaffte es nicht, die vielversprechende Ausgangslage nach der ersten Runde zu nutzen: Ausgeschiedene Kandidaten wie der Liedermacher Michal Horáček und der Bürgeraktivist Marek Hilšer beteiligten sich aktiv an der Kampagne des ehemaligen Akademiepräsidenten Drahoš. Den prominenten Wahlhelfern verweigerte am Wahltag aber ein Drittel der eigenen Wähler die Gefolgschaft. Zudem spielte auch Amtsinhaber Zeman seine „Stärken“ voll aus: Da war zum einen die aufwendige Schmutzkampagne, welche Drahoš als Befürworter einer Massenimmigration darstellte. Zum anderen brachte der Präsident in den Fernsehdebatten sein rhetorisches Talent zur Geltung und gab sich vergleichsweise gemäßigt. Mit dem Ruf nach einer gesamteuropäischen Außenpolitik erinnerte Zeman nicht an den „tschechischen Donald Trump“, als den sich der Volkstribun auch schon bezeichnete.

 

Wie verlogen die plötzliche Milde des Miloš Zeman war, zeigte sich schon beim Pressetermin nach dem Wahlsieg: Mitten unter den engsten Vertrauten des Präsidenten stand der rechtsradikale Parteichef Tomio Okamura. Und am Rande der Veranstaltung kam es zu einem hässlichen Zwischenfall, als Journalisten von Zeman-Anhängern tätlich attackiert wurden. Generell verheißen die kommenden fünf Jahre wenig Gutes: Aller Voraussicht nach wird der Präsident so weitermachen wie bisher. Das heißt, er versucht sein Publikum zu elektrisieren, indem er gegen eine „verwöhnte Elite“ in Prag hetzt. Zudem schert sich Zeman nicht um verfassungsrechtliche Vorgaben, wenn er dem Multimiliardär Andrej Babiš unbeschränkte Zeit bei der Regierungsbildung einräumt. Bei allen unerfreulichen Aussichten sind die liberalen und proeuropäischen Kreise aber gut beraten, nicht in Panik zu verfallen und falsche Schlüsse zu ziehen. Einige mögliche Fehlinterpretationen sollen im Folgenden diskutiert werden.

 

Erster Fehlschluss: Man muss das Wahlsystem ändern

 

„Schafft den Unsinn ab!“ – Mit dieser Überschrift forderte die Tschechien-Korrespondentin der TAZ die Abschaffung der Direktwahl des Präsidenten. Abgesehen davon, dass es fragwürdig ist, nach einem unliebsamen Wahlergebnis die Regeln ändern zu wollen: Der Blick in die jüngste Geschichte Tschechiens zeigt, dass auch der vor 2013 geltende parlamentarische Wahlmodus nicht vor fragwürdigen Personalien schützt. Der frühere Präsident Václav Klaus wurde von einer "unheiligen Allianz" aus der rechtsbürgerlichen Partei ODS und den unreformierten Kommunisten ins Amt gewählt. Und im heutigen Parlament haben die Zeman-freundlichen Parteien eine satte Mehrheit. Ein Blick ins Ausland zeigt auch, dass eine Volkswahl des Präsidenten nicht zwingend den Demagogen hilft: Frankreich erteilte mit der Wahl von Emmanuel Macron den Vereinfachern eine klare Absage. Und in den USA vereinte der Kosmopolit Barack Obama zweimal eine deutlichere Mehrheit hinter sich als der Isolationist Donald Trump. Ein valides Argument gegen die Direktwahl wäre, dass sich der Wahlsieger damit in ungesundem Maße legitimiert fühlt. Aber bei realistischer Betrachtung: Für Politiker vom Schlage eines Miloš Zeman oder Václav Klaus ist es wohl herzlich egal, von wem sie gewählt werden. Die eigene Profilierung steht über allem. Der Gedanke an das Gemeinwohl ist ihnen fremd.

 

Zweiter Fehlschluss: Die gesellschaftlichen Gräben sind unüberwindbar

 

Allein wegen dem sehr knappen Wahlergebnis liegt es nahe, von einer tiefen Spaltung der tschechischen Bevölkerung zu sprechen. Populäre Erzählungen befeuern dieses Klischee: Die Zeman-Anhänger haben den Begriff „Pražská kavárna“ kultiviert. Er bezeichnet das Bild von abgehobenen Pragern, welche ihre Freizeit nur in Kaffeehäusern verbringen würden. Im Gegenzug neigen aber auch viele Hauptstadtbewohner zu undifferenzierten Betrachtungen, wenn sie die Mitbürger außerhalb Prags als rückständig bezeichnen. Der Publizist Václav Hubinger schreibt, dass es auch die Peripherie keineswegs homogen ist und viele ihrer Bewohner Zeman nicht gewählt haben. Außerdem sei der Vorstellung des Stadt-Land-Grabens auch deswegen nicht haltbar, weil viele der Pragerinnen und Prager ihre Wurzeln in der Provinz haben und sich in ihrer Freizeit weiterhin dort aufhalten. Und wer sich in Prag umhört, stößt auch dort auch überraschende Entscheidungsfindungen. Da ist das Beispiel eines Paares, das eigentlich Zeman-kritisch eingestellt ist: Aber weil für sie Jiří Drahoš im Fernsehduell sehr farblos wirkte, entschieden sie sich für den Amtsinhaber. Der Fall zeigt, dass die gesellschaftlichen Fronten nicht so starr sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.

 

Dritter Fehlschluss: Es braucht den zupackenden „Anti-Zeman“

 

Einiges spricht in der Tat für das Argument, dass die Tschechen ein Faible für eigenwillige Persönlichkeiten haben. Das muss nicht zwingend etwas Schlechtes sein. Jedenfalls bei den Fernsehduellen waren die Wahrnehmungen geteilt: Während seine Anhänger Drahoš in der zweiten Debatte stark verbessert sahen, zeigen Nachwahlbefragungen, dass es in den letzten Tagen vor dem Wahlgang eine Bewegung hin zu Zeman gab. Wer aber die These formuliert, dass mit einem charismatischeren Gegenkandidaten die Abwahl von Miloš Zeman wahrscheinlicher gewesen wäre, soll sich einem Gedankenspiel unterziehen: Man stelle sich vor, dass anstatt des eher ruhigen Drahoš der impulsive Ex-Premierminister Mirek Topolánek die Fernsehduelle bestritten hätte. Zweifellos verfügt der Instinktpolitiker über das Potenzial, die berüchtigten Bonmots Zemans zu erwidern. Aber der erste Wahlgang zeigte, dass sich 37 Prozent der Wähler für die zurückhaltend auftretenden Kandidaten Jiří Drahoš und Pavel Fischer entschieden. Topolánek war mit vier Prozent Wähleranteil der größte Verlierer. Vieles spricht weiter für die im letzten Blog vertretene These, dass immer mehr Menschen in Tschechien einen anderen Politikstil wünschen. Ein Beispiel für die „neuen Milden“ ist auch Ivan Bartoš, der Vorsitzende der Piratenpartei. Die Zeiten ändern sich: Von den politischen Dominatoren der letzten beiden Jahrzehnte spielt nur noch Miloš Zeman eine Rolle. Kontroverse Typen wie Václav Klaus oder der ehemalige Sozialistenchef Jiří Paroubek sind in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

 

Womöglich zu viel Schwarzmalerei enthält auch das Bild, dass sich Tschechien mit der Wiederwahl des „prorussischen“ Präsidenten Zeman auf dem Weg nach „Osten“ befindet. Zwar bedient der trinkfreudige und ruppige Präsident fast jedes Klischee, das es über die „Osteuropäer“ gibt. Aber eine knappe Hälfte der Tschechen stimmte an der Urne für den betont proeuropäischen Drahoš. Zwar wird Zeman im Zusammenspiel mit Premierminister Andrej Babiš stärker die Kooperation mit den EU-kritischen Regierungen in Warschau und Budapest suchen. Aber gegen eine wirkliche Abwendung von Europa sprechen die Geschäftsinteressen des Agrar- und Medienunternehmers Babiš. Bemerkenswerterweise war es der frischgebackene Premierminister, welcher Zeman vor der Stichwahl zum Bekenntnis zur politischen Westorientierung ermahnte. Zwar wird vor den nächsten Parlamentswahlen 2021 kein politischer Wandel stattfinden. Doch in Anlehnung an Barack Obamas Leitsprich „Hoffnung wagen“ sollte für die aufgeschlossenen Kräfte in Tschechien das Motto gelten: Hoffnung weiter wagen!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jürg Meienberg (Dienstag, 30 Januar 2018 10:19)

    Gute Zusammenfassung. Danke. Interessant ist, dass er Land Stadt Konflikt nicht so stark gewichtet wird. War in anderern Beurteilungen anders. Die Durchmischung ist wohl stärker, als das Klischee will. Interessant wird sein, wie sich die „Hoffnungsgruppe“ nun neu aufstellt und ausrichtet. jm