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Die neuen Milden

Der amtierende Staatspräsident Miloš Zeman lag in der ersten Runde der tschechischen Präsidentschaftswahlen vorne. Mit weniger als 40 Prozent der Stimmen blieb der kontroverse Politiker aber hinter den Erwartungen zurück. In der Stichwahl trifft er auf den Chemieprofessor Jiří Drahoš. Er und der drittplatzierte Pavel Fischer stehen für einen Politikstil, der Tschechien verändern könnte.

 

von Niklas Zimmermann

 

Ein Gespenst ging um im Lande. Es lautete: Miloš Zeman könnte schon im ersten Wahlgang der tschechischen Präsidentschaftswahlen die Wiederwahl schaffen. So frohlockten seine Anhänger, die „ihren“ Präsidenten abgöttisch verehren. Aber auch seine Gegner zeigten sich vor dem Wahltermin am letzten Wochenende pessimistisch: „Zeman wird gewinnen“ hörte man im weltoffenen Prag sehr oft. Nicht selten wurde diese Prognose mit dem Hinweis kombiniert, dass der Mehrheit der Tschechen (außerhalb von Prag) die geistige Reife fehle. Nun zeigt das Wahlergebnis: Alles ist offen. Amtsinhaber Zeman erzielte 38,6 Prozent der Stimmen und liegt damit hinter den Prognosen, die ihn über 40 Prozent sahen. Also muss Zeman in einer Stichwahl um seine Wiederwahl kämpfen. Sein Gegner heißt Jiří Drahoš: Der Chemieprofessor und ehemalige Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften kam auf 26,6 Prozent Wähleranteil. Fünf weitere Kandidaten erklärten nach der Wahl, dass sie Drahoš in der zweiten Runde unterstützen. Sie vereinigten zusammen einen Wähleranteil von über 30 Prozent. Hingegen für Zeman sprach sich nur ein Außenseiter mit 0,5 Prozent der Stimmen aus. Und auch der Graben zwischen Hauptstadt und Peripherie war weniger tief als erwartet: Selbst in den nordböhmischen und schlesischen Industrieregionen erzielte Zeman keine absolute Mehrheit.

 

Verschiedene gesellschaftliche Lager vereint

 

Ist Jiří Drahoš jetzt der klare Favorit für den zweiten Wahlgang am übernächsten Wochenende? Nun, abschreiben sollte man Miloš Zeman noch nicht. Er ist rhetorisch ebenso begabt wie skrupellos. Zudem begannen die Zeman nahestehenden „alternativen“ Medien gleich nach dem ersten Wahlgang mit kompromittierenden Berichten, wonach Drahoš in der Migrationsfrage „zu weich“ sei. Der Pilsner Bischof Tomáš Holub widersprach öffentlich den unter Gläubigen verbreiteten Gerüchten, dass der Zeman-Herausforderer den Freimaurern angehöre. Die Diffamierungen zeigen: Der oft etwas unscheinbar wirkende Drahoš ist für den Amtsinhaber ein unangenehmer Gegner. Dies ist vor allem deswegen so, weil der Chemieprofessor niemand ist, der das Elektorat in feurige Anhänger und entschiedene Gegner spaltet. Damit ist er der Gegenentwurf zu Miloš Zeman, der auf eine große Fan-Gemeinde zählen kann, für alle anderen aber ein rotes Tuch ist. Mit moderaten Positionen und zurückhaltendem Auftreten konnte Drahoš schon im ersten Wahlgang ein breites Spektrum hinter sich vereinen: Dazu gehörten liberale Städter ebenso wie christliche Kreise und Linksliberale, welche von Zemans Wandlung vom Sozialdemokraten zum Nationalpopulisten enttäuscht sind. Vielleicht war es auch Kalkül, dass Drahoš nicht auf Konfrontationskurs zum neuen Ministerpräsidenten Andrej Babiš ging. Jedenfalls begann in den letzten Tagen auch Babiš, sich vorsichtig von Zeman abzusetzen. Er forderte den Austausch einiger „problematischer“ Präsidentenberater.

 

Nach slowakischem Vorbild?

 

Die Konstellation, dass im zweiten Wahlgang ein politisches Schwergewicht und ein parteiloser Newcomer um das Präsidentenamt kämpfen, gab es 2014 bereits im Nachbarland Slowakei: Als Favorit galt der langjährige Ministerpräsident Robert Fico, der mit Miloš Zeman die linksnationalistischen Positionen und das aggressive Auftreten teilt. Fico gewann den ersten Wahlgang vor seinem Gegenkandidaten, dem Unternehmer und Philantropen Andrej Kiska. Umso größer war die Überraschung, als Kiska den zweiten Wahlgang mit fast 60 Prozent der Stimmen gewann und neuer Präsident wurde. Auch wenn Kiska mit seinen sehr liberalen Ansichten nicht mit der Mehrheit der Slowaken übereinstimmt: Die Menschen hatten von dem durch Fico verkörperten Politikstil genug. In Tschechien wird von den Zeman-kritischen Kreisen schon länger auf die Slowakei verwiesen: Das Magazin „Respekt“ schrieb bereits im November von der „slowakischen Lektion“. Und auch Jiří Drahoš nannte Kiska nach dem Einzug in den zweiten Wahlgang eine „große Inspiration“. Etwas verlief in Tschechien sogar noch reibungsloser als im Nachbarland: Die unterlegenen Rivalen Pavel Fischer, Michal Horáček, Marek Hilšer, Mirek Topolánek und Vratislav Kulhánek erklärten noch am Wahlabend ihre Unterstützung für Drahoš. Von großer Symbolkraft ist ein über die sozialen Medien verbreitetes Bild, auf dem Hilšer und Horáček mit Drahoš auf dessen weiteren Wahlerfolg anstießen.

 

Der leise Aufstieg des Pavel Fischer

 

Fast etwas unbeachtet bleibt mit Blick auf das Duell Zeman gegen Drahoš der Wahlerfolg des drittplatzierten Pavel Fischer: Der ehemalige tschechische Botschafter in Frankreich erzielte 10,2 Prozent der Wählerstimmen. Zu Beginn der Kampagne kannte ihn fast niemand. Am Ende überholte er vermeintliche Favoriten wie den Ex-Premierminister Topolánek und den seit über einem Jahr Wahlkampf betreibenden Horáček. Wie Jiří Drahoš ist auch Fischer ein Mann der eher leisen Töne. Bei den zahlreichen Debatten der Bürgervereinigung Mladí občané (Junge Bürger) fiel auf, dass Fischer in den Online-Votings fast keine Negativstimmen erhielt. Auch er steht für einen Politikstil, der versucht, zu verbinden statt zu spalten. Dabei vereint Fischer liberale und wertkonservative Strömungen. Einerseits war er von 1995 bis 2003 Berater des der kulturellen Avantgarde nahestehenden Präsidenten Václav Havel. Andererseits bezeichnete Fischer den Einfluss der sozialen Medien auf Kinder und Erwachsene als das größte Problem der Gegenwart. Nachdem die Präsidenten Václav Klaus und Miloš Zeman die tschechische Gesellschaft in den letzten 15 Jahren polarisierten, könnte mit Persönlichkeiten wie Jiří Drahoš und Pavel Fischer eine Trendwende gelingen. Man darf auf den Ausgang der Stichwahl am 26. und 27. Januar gespannt sein!

 

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