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Nach slowakischem Vorbild?

Zuzana Čaputová könnte die neue Präsidentin der Slowakei werden. Mit ihrem Ruf nach Veränderung entschied sie die erste Wahlrunde für sich. Auch viele Tschechen sehen die liberale Bürgerrechtlerin als Inspiration. Die Frage ist: Kann das Modell Čaputová auch im Nachbarland funktionieren?

 

von Niklas Zimmermann

 

Für Präzision waren die slowakischen Umfrageinstitute bislang nicht bekannt. Mehrfach stürzten vermeintliche Favoriten am Wahltag ab. Letztes Wochenende lagen die Prognostiker aber richtig. Wie zuletzt erwartet entschied Zuzana Čaputová die erste Runde der slowakischen Präsidentschaftswahlen für sich. Die von verschiedenen liberalen Parteien unterstützte Juristin erzielte mit 40,6 Prozent Wähleranteil mehr als doppelt so viele Stimmen wie der von der sozialdemokratischen Regierungspartei SMER-SD aufgestellte EU-Kommissar Maroš Šefčovič. Dieser zieht nur dank der Spaltung des nationalistischen Lagers in die Stichwahl ein. Denn fast 25 Prozent der Slowaken wählten entweder den Rechtspopulisten Štefan Harabin oder den Rechtsextremisten Marian Kotleba.

 

Bei den slowakischen Bürgerinnen und Bürgern drang Zuzana Čaputová mit ihrem Ruf nach Veränderung und Gerechtigkeit durch. Und auch im Nachbarland Tschechien regt sie die Phantasie an. Das gilt besonders für diejenigen, die sich einen Bruch mit dem Politikstil von Staatspräsident Miloš Zeman und Regierungschef Andrej Babiš herbeisehnen. Für Čaputová setzen sich unter anderem der frühere Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg und der katholische Intellektuelle Tomáš Halík ein. Erik Tabery vom Wochenmagazin Respekt schrieb schon Ende Februar von der "Hoffnung für die Slowakei". Er meinte aber vor allem eine verzweifelte Hoffnung für Tschechien. Tabery schrieb, dass für die nächsten Wahltermine noch keine politischen Talente in Sicht seien. Das könne aber noch werden, tröstete er die Leserschaft. Denn Zuzana Čaputová habe erst ganz am Ende aufgetrumpft.

 

Die Kraft des Unvorhersehbaren

 

Lange sah es wirklich nicht danach aus, dass die auf Umweltfragen spezialisierte Juristin in den Präsidentenpalast in Bratislava einziehen könnte. Als liberaldemokratischer Konsenskandidat war der Chemiker Robert Mistrík vorgesehen. Dafür gab es zwei Überlegungen. Erstens: Nur ein Mann hat eine echte Chance. Zweitens: Die konservativen Slowaken wählen keine Kandidatin, die für die registrierte Partnerschaft von Homosexuellen ist. So weit die Theorie. Als es in den Debatten wirklich zur Sache ging, sah der nicht gerade charismatische Mistrík jedoch schlecht aus. Sein Lavieren in gesellschaftspolitischen Fragen überzeugte weder die eine noch die andere Seite. Trotzdem bewies er Größe. Denn zweieinhalb Wochen vor dem Urnengang zog Mistrík seine Kandidatur zurück und rief zur Wahl von Zuzana Čaputová auf. Das Beispiel zeigt: Politischer Erfolg ist nicht am Reißbrett planbar. Das Unvorhersehbare besitzt immer noch eine ungeheure Kraft. Und das ist auch gut so.

 

Ein Schwerpunkt des (Nicht-)Kandidaten Robert Mistrík war auch das Bekenntnis zu einer euroatlantischen Außenpolitik. Als Repräsentant der Slowakei im Ausland sieht sich auch Maroš Šefčovič. Er ist EU-Kommissar in Brüssel. Mit ihm will die Regierungspartei SMER-SD ihre zuletzt miserable Außendarstellung verbessern. Šefčovič sollte das freundliche und gemäßigte Gesicht sein, während der Parteivorsitzende Robert Fico grobschlächtigem Populismus nicht abgeneigt ist. Als aber klar wurde, dass eine noch liberalere Kandidatin Wahlchancen hat, mutierte Šefčovič plötzlich zum Konservativen, der scheinbar schon immer für traditionelle Werte eingetreten ist. Der Mann ist auch nicht zu beneiden: Um doch noch Präsident zu werden, muss er die rechtsradikalen Wähler überzeugen. Das Problem geht aber tiefer. Mit Čaputová stimmten viele Slowaken für eine Kandidatin, die vor allem nach innen wirken will. Ihren Wahlkampf dominierte die Frage nach dem Zustand der slowakischen Gesellschaft. Es wird deutlich: Ein gebetsmühlenartiges "für Europa" ist noch kein tragfähiges Programm. Die Menschen wollen sich und ihre Situation ernst genommen sehen.

 

Der für mitteleuropäische Verhältnisse sehr demütige Politikstil von Zuzana Čaputová ist es auch, der scheinbar festgefahrene weltanschauliche Gegensätze aufbricht. Trotz heftiger Angriffe auf die angeblich "ultraliberale" Kandidatin schaffte sie es, einen Viertel der Wähler der nationalkonservativen Slowakischen Nationalpartei von sich zu überzeugen. Čaputová erklärt denn auch die Versöhnung von Liberalen und Konservativen zu ihrem Ziel und wurde von Anfang an vom ehemaligen römisch-katholischen Bischof Róbert Bezák unterstützt. Der 2012 von Papst Benedikt XVI. abgesetzte Bezák machte sich als Kritiker innerkirchlicher Missstände einen Namen. Er sagte, er teile nicht jede Position von Čaputová. Aber sie könne eine Art "Mutter der Nation" werden. Die Juristin verfährt nach dem Ansatz, ihre gesellschaftspolitischen Ansichten zwar zu benennen, aber nicht um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Das kann in den mitteleuropäischen Ländern ein interessantes Rezept sein. Denn wenn man dem von Verschwörungstheorien unterstützten Kulturkampf von rechts eine interventionistische Diversity-Politik entgegensetzt, spaltet das die Gesellschaften noch mehr.

 

Kein tschechischer Fall Kuciak

 

In den Fragen Glaube und Kirche gibt es jedoch starke Unterschiede zwischen Tschechen und Slowaken. Kirchenbindung gibt es in Tschechien mit seiner konfessionslosen Mehrheit sehr wenig. Die Abtreibungsgesetze sind liberal und die Regierung von Andrej Babiš könnte bald eine Ehe für Alle einführen. Kirchenferne ist aber nicht gleichzusetzen mit Weltoffenheit. Gerade in der Klientel von Kommunisten und Rechtspopulisten geht ein gesellschaftspolitisches Laissez-Faire oft einher mit einer verbal sehr radikalen Position gegen Immigration und die Europäische Union. Noch stärker ins Gewicht fällt aber, dass den regierungskritischen Kräften in Tschechien ein einigendes Moment fehlt. In der Slowakei war der vor einem Jahr geschehene Mord am Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová ein solches. Unabhängig von einem direkten Zusammenhang mit der Tat wurden die zwielichtigen Verstrickungen der Regierungspartei SMER-SD immer offensichtlicher. In Bedrängnis hatten "sozialdemokratische" Politiker keine bessere Idee, als die Massenproteste als von George Soros orchestriert darzustellen. Das Beispiel des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán macht Schule.

 

Auch der gegenwärtige slowakische Präsident Andrej Kiska sagte jüngst, dass der Doppelmord ein Weckruf für die slowakische Zivilgesellschaft war. Überhaupt erntet Zuzana Čaputová gewissermaßen das, was der nicht mehr zur Wiederwahl antretende Kiska gesät hat. Der Unternehmer gewann 2014 überraschend deutlich die Wahl gegen den damaligen Premierminister Robert Fico. Auch Kiska vertritt liberale Ansichten und ist damit unter den Präsidenten der sogenannten Visegrád-Staaten ein Unikat. Das schadete ihm aber nicht. Denn zugleich gab sich Kiska als ein offenes und leutseliges Staatsoberhaupt. Im Stil unterschied er sich sehr von seinem oft zynischen Vorgänger Ivan Gašparovič. Dagegen wenn Tschechien 2023 einen neuen Präsidenten wählt, wird das Land zwei Jahrzehnte von den Herren Václav Klaus und Miloš Zeman repräsentiert. Sie waren und sind wahre Meister der gesellschaftlichen Spaltung. Die Erinnerung an den 2011 verstorbenen Dichterpräsidenten Václav Havel und daran, dass man das Amt auch anders ausüben kann, verblasst immer mehr.

 

Nach der Stichwahl am 30. März wird Gewissheit herrschen, ob man in Tschechien weiter vom Vorbild Slowakei sprechen kann. Nach neuesten Umfragen würde Zuzana Čaputová die Wahl gegen Maroš Šefčovič mit 60 zu 40 Prozent gewinnen. Aber weiter gilt: Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen!

 

Foto: Slavomír Frešo, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

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Kommentare: 1
  • #1

    Jürg Meienberg (Freitag, 22 März 2019 13:20)

    Sehr differenziert und inhaltsreich. Das wird spannend sein zu verfolgen, wie es ausgeht. Danke! jm