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Steht Prag vor dem Wandel?

Anfang Oktober droht bei den Kommunalwahlen in Prag ein Erdrutsch. Einmal mehr. 2014 wurde die Rechtspartei ODS abgestraft. Diesmal dürfte es die im Rathaus bisher glücklose ANO-Partei treffen. Piraten und andere Formationen der politischen Mitte hoffen. Jedoch auch bei ihnen macht sich eine Überheblichkeit breit, die den Umbruch noch gefährden könnte.

 

von Niklas Zimmermann

 

Prag den Pragern? Der Sozialdemokrat Jakub Landovský wirbt auf seinen Plakaten vor allem damit, dass er in der tschechischen Hauptstadt geboren ist. Gleiches tut der Milliardär Pavel Sehnal. Dumm nur: Den Prager Sozialdemokraten droht beim Wahlgang vom 5. und 6. Oktober einer Umfrage zufolge sogar der Fall unter die Fünfprozenthürde. Und trotz teurer Plakatkampagne ist Sehnal und seine Retortenpartei ODA bisher kein politischer Faktor. Ungleich besser im Rennen um das Amt des Oberbürgermeisters liegt der aus Südostmähren stammende Zdeněk Hřib. Der Manager im Gesundheitswesen tritt als Spitzenkandidat der Piraten an und verspricht den Pragerinnen und Pragern politischen Wandel. Den Piraten verheißt auch eine zweite Erhebung das größte Wählerpotenzial. Ihr Hauptkonkurrent ist dabei die rechtskonservative Bürgerpartei ODS. Sie möchte den früheren Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda zurück an die Spitze der Stadtregierung bringen.

 

Der Wahlspruch „Prag wählt ODS“ sagt vieles über das Selbstverständnis dieser Partei aus. Sie stellte von 1991 bis 2013 den Prager Oberbürgermeister. Im Jahre 2006 erzielte sie mit 54 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis. Ihr damaliges Stadtoberhaupt Pavel Bem mutierte aber bald zum Inbegriff von Korruption und Klientelismus. Bei den folgenden Wahlen wurde die ODS von der neugegründeten liberal-konservativen Partei Top 09 überflügelt. Durch einen überraschenden Deal mit den Sozialdemokraten machte sie den Gynäkologen Svoboda trotzdem zum Oberbürgermeister. Auch nach dem Zerbrechen dieser unheiligen Allianz blieb er insgesamt drei Jahre im Amt. Dann putschte die Top 09 und regierte bis zum Ende der Wahlperiode mit den Sozialdemokraten. Nach den peinlichen Ränkespielen setzte die Bevölkerung ein Stoppsignal. 2014 übernahm die ANO-Partei von Premierminister Andrej Babiš im Bündnis mit mehreren Mitte-Links-Parteien. Die ODS stürzte auf 11 Prozent Wähleranteil ab. Da die Stadtregierung unter der ANO-Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová aber eine sehr schlechte Figur machte, hofft die Bürgerpartei wieder. Ihr Auftreten und der bereits 74-jährige Spitzenkandidat machen den Eindruck: Zurück in die Vergangenheit sollte es gehen.

 

Eine Million Bäume für Prag

 

Dagegen die Piraten haben eine konkrete Vorstellung des Wandels. Grüner sollte die Stadt werden. Im Rahmen der globalen „One Million Tree Initiative“ wollen sie in Prag eine Million Bäume pflanzen. Bei dieser symbolischen Maßnahme soll es nicht bleiben: Der in der tschechischen Hauptstadt chronischen Verkehrsüberlastung wollen sie mit einer Ruhezone in der Innenstadt, einem ausgebauten öffentlichen Nahverkehr und neuen Radwegen begegnen. Gerade der Fahrradverkehr war in Prag bisher ein Stiefkind: Der regierte zentrale Stadtbezirk erließ im Mai dieses Jahres sogar ein Verbot. Nach wie vor ist in Tschechien die Vorstellung verbreitet, dass Radfahren eine sportliche Aktivität und nicht ein Fortbewegungsmittel von A nach B ist. Die Piraten wollen dies ändern, aber auch in den Straßenbau investieren: Sie sehen die Fertigstellung des von Umweltaktivisten bekämpften inneren und äußeren Rings als Mittel, um den Autoverkehr im Zentrum zu begrenzen.

 

Mit einem fast identischen Programm tritt das Wahlbündnis Praha Sobě an. Es wird von Jan Čižinský, dem Bezirksbürgermeister im einstigen Arbeiterviertel Holešovice angeführt. Neben der ökologischen Agenda hat der Straßenbau wohl ein etwas stärkeres Gewicht als bei den Piraten. An einer Podiumsdiskussion sagte Čižinský, dass man Radfahrer, Fußgänger und Automobilisten nicht gegeneinander ausspielen kann. Darüber hinaus setzt sich Praha Sobě für einen schnelleres und verdichtetes Bauen ein. Knapper Wohnraum und hohe Mieten machen der Stadtbevölkerung in den letzten Jahren immer mehr zu schaffen. Vor einer Mietpreisregulierung wie in Deutschland schrecken jedoch sowohl Praha Sobě als auch die Piraten zurück. Dies weist darauf hin, dass staatliche Eingriffe kritisch gesehen und mit dem früheren sozialistischen Regime assoziiert werden. Eigene Akzente setzt Praha Sobě auch beim Fremdenverkehr. Eine neue Polizeieinheit soll die Einhaltung der Nachtruhe garantierten und die Stadtbewohner vor den Exzessen des Partytourismus schützen.

 

Im eigenen Mikrokosmos gefangen

 

Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppierungen liegen nicht im beiderseits auf die urbane Mittelklasse ausgerichteten Programm, sondern in ihren Wurzeln: Die Piraten waren eine außerparlamentarische Splitterpartei. Bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr schafften sie aber den Einzug in das tschechische Abgeordnetenhaus und weisen weiter sehr gute Umfragewerte auf. Laut dem Wochenmagazin Respekt sind sie von der Überzeugung beseelt, dass alle anderen Parteien tiefgreifend korrumpiert sind. Für diese These gibt der Prager Spitzenkandidat Zdeněk Hřib lebhaften Anschauungsunterricht: Dass er als Ziel die absolute Mehrheit für die Piraten ausgibt, mag man ihm als Dampfplauderei durchgehen lassen. Sektiererisch wirkt hingegen seine Abgrenzeritis gegenüber politisch nahestehenden Kräften: Mit Jan Čižinský will er nicht kooperieren, weil er gleichzeitig Bezirkbürgermeister und Abgeordneter des nationalen Parlaments ist. Für den Top 09-Europaabgeordneten Jiří Pospíšil, der in Prag ein Mitte-Rechts-Bündnis anführt, gilt dasselbe. Man kann die Ämterkumulation als ein Problem ansehen. Fakt ist aber auch, dass die beiden Politiker demokratisch in ihre Ämter gewählt wurden.

 

Auf Praha Sobě lancierte Hřib eine weitere Attacke: Er sagte, die Bürgerinitiative sei eine „konservative Bewegung“, während seine Piraten die liberale Kraft in Prag seien. Unbeantwortet bleibt, woran der Spitzenpirat dies festmacht. Die politischen Programme sind so gut wie deckungsgleich und halten sich aus der Gesellschaftspolitik heraus. Zudem kandidiert auf der Liste von Praha Sobě auch ein LGBT-Kandidat. Der Umstand, dass Jan Čižinský praktizierender Katholik ist und bis vor kurzem der christdemokratischen Partei KDU-ČSL angehörte, sollte für eine solche Zuschreibung nicht ausreichen. Und an den in Tschechien weit verbreiteten Anti-Migrationsparolen beteiligte sich der Latein- und Geschichtslehrer bisher nicht. Nicht von der Hand zu weisen ist aber, dass auch Čižinský im eigenen Mikrokosmos gefangen scheint: In den Interviews verweist er stets auf seinen Bezirk, den er zum Vorbild für ganze Stadt erklärt. Dass fast alle für Praha Sobě Kandidierenden aus Holešovice stammen, ist mutig. Allerdings sollte man die Initiative nicht unterschätzen. Um als parteiunabhängige Liste zur Wahl zugelassen zu werden, sammelte sie 97 000 Unterschriften. Das sind mehr als sieben Prozent aller Einwohner Prags. Stärkste Kraft wird die Bewegung entgegen der eigenen Hoffnungen wohl nicht. Aber eine wichtige Rolle in der künftigen Prager Stadtpolitik liegt drin.

 

Welche Partner sollen es sein?

 

Allem zur Schau gestellten Selbstbewußtsein zum Trotz: Die neuen Kräfte, die mit guten Gründen auf ein starkes Ergebnis hoffen, brauchen zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen politische Partner. Da bietet sich das Bündnis aus Top 09, Starostové (Bürgermeister) und Christdemokraten an. Es wird von proeuropäischen Mitte-Rechts-Parteien getragen. Von der Lebensrealität entfernt wirkt aber, wenn sie sich auf Plakaten für neue Konzertsäle stark machen. Der auf die Themen Verkehr und Wohnen konzentrierte Wahlkampf von Piraten und Praha Sobě ist bürgernäher. Es wäre überraschend, wenn der Top 09-Kandidat Jiří Pospíšil neuer Oberbürgermeister wird. Die Partei hat ihren Ruf als Sprachrohr der Hauptstadt eingebüßt. Doch ein politischer Faktor dürfte sie im Verbund mit ihren Partnern bleiben. Falls Piraten und Praha Sobě eine Kooperation verweigern, würden sie den ganzen Umbruch gefährden. Ob es noch weitere Koalitionspartner braucht, hängt davon ab, wer in das Stadtparlament einzieht: Die Grünen politisieren in der linken Mitte und wären für die neuen Kräfte die logische Wahl. Die Prager Sozialdemokraten haben wegen ihrem Personal einen schlechten Ruf. Sie wären in der Stadtregierung aber wohl ebenso pflegeleicht wie auf nationaler Ebene im Bündnis mit Andrej Babiš.

 

Der Basis der neuen Kräfte noch schwerer zu vermitteln wäre ein Bündnis mit der ODS. Dabei geht es nicht nur um die Korruptionsskandale der einst stolzen Partei. Auch politisch wäre es eine Gratwanderung. Die ODS zeigt sich derzeit als doppelgesichtige Partei. Da ist einerseits die Tradition der vornehmen bürgerlichen Partei, für die der Spitzenkandidat Bohuslav Svoboda und ein gemäßigtes Wahlprogramm stehen. Andererseits führt die Kandidatin für den Prager Nordbezirk eine massive Kampagne gegen die „Fahradlobby“ und lässt sich von Václav Klaus ml. unterstützen. Dieser kontroverse Politiker steht für eine ODS, die sich in rechtspopulistische und prorussische Gefilde begibt. Bleibt noch die ANO-Partei von Premierminister Babiš: Sie setzte mit Petr Stuchlík einen neuen Erfüllungsgehilfen des Milliardärs an die Spitze der Prager Kandidaten. Im Hinblick auf die nationale Politik dürfte eine Koalition mit ihr in Prag aber auf mehr Unwillen stoßen, als dies vor vier Jahren der Fall war. Bleibt das vom Spitzenpiraten Zdeněk Hřib herbeigeredete Schreckgespenst einer Koalition von ANO und ODS. Seine Aussagen über „geheime Absprachen“ sind nicht belegt. Und die anderen Kräfte haben noch Zeit, mit einem engagierten Wahlkampffinale ein solches Bündnis zu verhindern. Alles andere wird man Anfang Oktober wissen.

 

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