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Der Altmeister und die Nicht-Politiker

In letzter Minute verkündete der tschechische Ex-Premierminister Mirek Topolánek seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl. Kann er den umstrittenen Staatspräsidenten Miloš Zeman aus dem Amt drängen? Die erste Vorwahldebatte zeigte: Auch am impulsiven Topolánek scheiden sich die Geister.

 

von Niklas Zimmermann

 

Schon eine Stunde vor der Debatte am Dienstag strömten die Studierenden in den Hörsaal der Prager Rechtsfakultät. Beim Drängeln wurden derart die Ellenbogen eingesetzt, dass sich auch der Präsidentschaftskandidat Jiří Drahoš kaum einen Weg zum Podium bahnen konnte. Als seine Wahlkampfmanagerin von einer sehr wörtlich gemeinten Kontaktkampagne sprach, konnte sich der ehemalige Präsident der tschechischen Akademie der Wissenschaften das Lächeln nicht verkneifen. Kaum angekommen, wurde Drahoš, dem eine neue Umfrage den Einzug in die Stichwahl gegen Amtsinhaber Miloš Zeman vorhersagt, aber die Show gestohlen: Da war zunächst der Auftritt von Andrej Babiš. Ohne Ankündigung mischte sich der Sieger der jüngsten tschechischen Parlamentswahlen unter das junge Publikum. Babiš gilt für seine Wähler als der „Aufräumer“ in der tschechischen Politik. Für alle anderen ist er zusammen mit Präsident Zeman die Verkörperung des Bösen. Das größte Interesse im prall gefüllten Saal galt allerdings Mirek Topolánek. Er war früher Parteichef der rechtskonservativen Bürgerpartei ODS und von 2006 bis 2009 tschechischer Ministerpräsident. Nach Jahren der politischen Auszeit ließ er erst letzten Sonntag, zwei Tage vor Annahmeschluss für Kandidaturen, die Bombe platzen. Kein Wunder, dass sich die Kameras fast nur auf Topolánek stürzten. Die anderen sechs Kandidaten, angeführt von Drahoš und dem in Umfragen ebenfalls relativ erfolgreichen Songtexter Michal Horáček, saßen auf dem Podium recht einsam da.

 

Die Vorstellung der Kandidaten

 

Mit Beginn der Debatte kamen aber erst einmal alle sieben Kandidaten (unter ihnen keine einzige Frau!) mit ihrer Kurzvorstellung dran: Den Anfang machte Jiří Drahoš. In seiner Ansprache betonte er, dass ein Präsident verfassungskonform handeln und Tschechien würdig im Ausland repräsentieren solle. Es folgte der sich als Bürgeraktivist bezeichnende Marek Hilšer. Der mit 41 Jahren jüngste Kandidat sagte, er wolle die Gesellschaft zu kritischem Denken anregen. Danach betonte der Rüstungslobbyist Jiří Hynek die Bedeutung nationaler Interessen und ökonomischer Diplomatie zur Wohlstandsförderung. Transparenz war das Stichwort von Michal Horáček. Er sagte, dass er keinerlei Interessenbindungen habe und gegen Funktionärsdenken in der Politik ankämpfen wolle. Wiederum die Verfassungstreue bekräftigte Pavel Fischer, der ehemalige tschechische Botschafter in Frankreich. Es folgte Petr Hannig, der Vorsitzende einer Splitterpartei, welche die Freiheit des Wortes bedroht sind. Und dann kam Mirek Topolánek ein erstes Mal zu Wort: Der Ex-Premierminister kokettierte zunächst damit, dass die Tschechen einen Präsidenten irgendwo zwischen Staatsgründer Tomáš G. Masaryk und dem lieben Gott erwarten und er dies kaum erfüllen könnte. Aber danach schaffte er doch die Kurve zur Ernsthaftigkeit und sagte, er werde für die euroatlantische Orientierung Tschechiens einstehen.

 

Die zwei Gesichter des Mirek Topolánek

 

Bereits die Vorstellungsrunde war symptomatisch für den Auftritt von Mirek Topolánek: Einerseits zeigte er das Gesicht eines inhaltlich profilierten Kandidaten. Er machte aus seiner politischen Gesinnung rechts der Mitte keinen Hehl. Gleichzeitig zog er gekonnt die Grenze zum Rechtspopulismus, indem er sagte, dass die Schengen-Außengrenzen nicht in nationalen Alleingängen gesichert werden könnten. Doch da war auch das zweite Gesicht von Topolánek: Kaum eine Wortmeldung, ohne dass er die gestellte Frage ins Lächerliche zog. Zu häufig und zu offensichtlich war er auf die billigen Lacher im Publikum aus. Nun kann man sagen, dass Topolánek von seiner Impulsivität lebt und dass Emotionen in der Politik nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein müssen. Aber es kann auch in Tschechien, das nicht gerade als humorbefreite Zone gilt, zu viel davon werden. Schon einmal redete sich Topolánek um Kopf und Kragen, als er 2010 nach unflätigen Äußerungen bei einem Interviewtermin von der ODS-Spitzenkandidatur zurücktreten musste. In Anbetracht dessen, dass er in der Debatte auch substanzielle Beiträge leistete und selber sagte, dass ein Präsident ernsthaft sein muss, drängt sich der Eindruck auf: Der Mann tendiert dazu, sich selbst im Wege zu stehen.

 

Nüchternheit vs. Pathos

 

Im Vergleich zu Topolánek trat Jiří Drahoš betont nüchtern auf. Sein Eintreten für Verfassungstreue, den Dialog mit der Gesellschaft und eine westlich orientierte Außenpolitik sind nichts, wovon er sich von den anderen Zeman-Herausforderern wesentlich abheben würde. Drahoš beherrscht aber sichtlich die Kunst der klaren Ansprache in relativ einfachen Worten. So wirkte der Chemieprofessor zu keinem Zeitpunkt abgehoben. Einen weniger guten Eindruck machte Michal Horáček: Er ließ sich einmal erwischen, als er zunächst die Frage nicht verstand, um dies in einem zweiten Anlauf mit viel Pathos zu überspielen. Zwar gibt es in Tschechien eine Klientel, welche einen intellektuellen Schöngeist an der Staatsspitze wünscht. Aber der Versuch, sich in die Tradition von Václav Havel zu stellen, wirkte bei Horáček nicht sonderlich stimmig. Zumal er sonst den eher aggressiven Anti-Korruptions-Kämpfer gab. Der Verweis auf die eigene „Transparenz“ ist insofern fragwürdig, weil der Präsidentensitz auf der Prager Burg nicht der Ort ist, wo die Gelder im Lande verteilt werden.

 

Das Verdikt des Publikums

 

Das Schöne an der von der Bürgervereinigung Mladí občané (Junge Bürger) organisierten Debatte war, dass nicht nur jeder für sich Eindrücke sammeln konnte. Es gab auch eine Publikumsabstimmung über die überzeugenden und weniger überzeugenden Kandidaten. Jeder und jede konnte über einen speziellen Link zweimal Plus und einmal Minus vergeben. Die Ergebnisse: Der Auftritt von Jiří Drahoš wurde von 380 der 588 Teilnehmenden als positiv bewertet. Es folgten der in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannte Marek Hilšer mit 236 und Michal Horáček mit 206 Stimmen. Zwiespältig wie sein Auftritt war das Ergebnis von Mirek Topolánek: 155 positiven Bewertungen standen 120 Negativbewertungen gegenüber. Schlechter wurde nur der Außenseiter Petr Hannig beurteilt, der mit seinem konfusen Auftritt 278 Minus-Stimmen auf sich zog.

 

Was für Schlüsse kann man daraus ziehen? Erstens: Kandidaten ohne politische Vergangenheit stehen hoch im Kurs. Bis auf Topolánek hatte niemand der sieben Kandidaten auf dem Podium jemals ein politisches Amt inne. Zweitens: Neben Inhalten ist auch die Persönlichkeit der Kandidaten entscheidend. Es scheint, dass nach fast fünf Jahren Miloš Zeman jemand mit zurückhaltendem und staatstragendem Aufritt gefragt ist. Drittens: Die wahre Herausforderung kommt noch. Es ist  die Auseinandersetzung mit Zeman, der alle Vorwahldebatten boykottiert. Im ganzen Land sind die Voraussetzungen ganz andere als an der Prager Rechtsfakultät, wo ein städtisch-gebildetes Publikum versammelt war. Man sollte sich aber nicht vom in der Hauptstadt vorherrschenden Pessimismus anstecken lassen. Denn Zeman schaffte es in fünf Jahren Amtszeit einige Male, frühere Tiefpunkte noch zu unterbieten. Zuletzt sorgte er nicht nur mit Todesdrohungen gegen Journalisten für Aufsehen, sondern auch damit, dass er Andrej Babiš ohne Parlamentsmehrheit zum Regierungschef ernennen will. Der Präsident hat zwar immer noch treu ergebene Fans. Aber laut einer neuen Umfrage haben inzwischen 53 Prozent der Tschechen ein negatives Bild von ihm. Jedenfalls: In den zwei Wahlgängen am 13. und 27. Januar fällt die Entscheidung. Bis dahin bleibt es spannend.

 

PS: Wer der tschechischen Sprache mächtig ist, kann die Debatte vom Dienstag hier nachschauen.

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