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Ein Gespenst kehrt wieder?

Zehntausende demonstrierten nach der Wahl eines Kommunisten an die Spitze der parlamentarischen Geheimdienstkontrolle. Es zeigt sich: Das kommunistische Schreckgespenst mobilisiert in Tschechien noch immer. Die Gefahr liegt aber nicht in einer neuen „roten Revolution“. Vielmehr verkörpern orthodoxe und „gewendete“ Kommunisten die grenzenlose Machtarroganz.

 

von Niklas Zimmermann

 

Mit 79 Stimmen erzielte Zdeněk Ondráček in der Abstimmung am letzten Freitag eine Stimme mehr als benötigt. Erstmals in der Geschichte der Tschechischen Republik übernahm ein kommunistischer Abgeordneter den Vorsitz der parlamentarischen Kontrolle über die Geheimdienste. Brisant an der Wahl sind zweierlei Dinge: Erstens ist Ondráček nicht irgendein kommunistischer Vertreter. Die Geheimdienste sollten von jemandem kontrolliert werden, der 1989 als junger Polizist stolz vom brutalen Einsatz gegen Protestierende berichtete (hier im Video). Zweitens fand die Wahl 70 Jahre nach der kommunistischen Machtübernahme von 1948 statt. Somit handelte es sich entweder um historische Blindheit – oder um eine gezielte Provokation der liberalen Demokraten. Es folgten heftige Reaktionen: Am Montag demonstrierten allein auf dem Prager Wenzelsplatz mehr als 20 000 Menschen. Protestaktionen fanden auch in vielen anderen Städten Tschechiens statt. Der öffentliche Druck wirkte: Einen Tag nach dem Protest erklärte Ondráček seinen Amtsverzicht. Dies geschah wohl auch auf Druck von Premierminister Andrej Babiš, der einen solchen Schritt bereits am Sonntag forderte. Allerdings agierte der Multimilliardär und Chef der ANO-Partei dabei äußerst scheinheilig. Denn ohne die Stimmen seiner Partei wäre Ondráček niemals gewählt werden.

 

Eher opportunistisch als revolutionär

 

Vor allem im Westen Europas gilt der Kommunismus als eine radikale Gesellschaftsutopie: Rote Fahnen, Diktatur des Proletariats und die Vergemeinschaftung der Produktionsmittel sind bekannte Stichworte. Um eines vorwegzunehmen: Der revolutionäre Umsturz ist von der heutigen Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM) nicht zu erwarten. Dies allein schon deswegen nicht, weil die Partei bei den Parlamentswahlen von letztem Oktober mit 7,8 Prozent der Wählerstimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit der demokratischen Wende erzielte. Zudem setzt die KSČM stärker auf Nostalgie als auf linke Utopien. Außer etwas höheren Renten für ihre treueste Wählerschaft hat sie sozialpolitisch fast nichts zu bieten. Ernst nehmen sollte man ihre Rolle aber im gegenwärtig in Tschechien sehr heftig inszenierten Kulturkampf: Dabei stehen eher städtische, gebildete und pro-westliche Kreise auf der einen und die Rechts- und Linkspopulisten auf der anderen Seite. Wie der Publizist Marek Švehla schreibt, sind die Kommunisten wichtiger Bestandteil einer von Premierminister Babiš und Staatspräsident Miloš Zeman angeführten Koalition: Sie eint der Hass auf die als „Kaffeehausgänger“ geschmähten Städter, der Ruf nach nationaler Abschottung und eine geistige Nähe zu neuen autoritären Führern wie Donald Trump oder Wladimir Putin. Dabei hofft die KSČM ganz opportunistisch darauf, nach 25 Jahren politischer Isolation erstmals an einer tschechischen Regierung beteiligt zu werden.

 

Vormarsch der Ex-Kommunisten

 

Wer vor der Wiederkehr kommunistischen Praktiken in Tschechen warnt, darf nicht nur auf diese oft anachronistisch wirkende Partei verweisen. Ungleich viel mehr Macht haben frühere KP-Mitglieder erlangt, die nach 1989 in anderen Parteien Karriere machten. Mit Andrej Babiš und Miloš Zeman bekleiden heute zwei von ihnen die höchsten Staatsämter in Tschechien. Dem Premierminister wird sogar die Spitzeltätigkeit für die kommunistische Staatsicherheit vorgeworfen. Zeman, Babiš und andere ehemalige Kommunisten eint ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit, die Nähe zu Geschäftsinteressen und ein konfrontativer Stil. Auch wenn dies kein ausschließliches Monopol von Ex-Kommunisten ist: Die Sozialisierung in einer Partei, der man im Realsozialismus vor allem aus opportunistischen Gründen beitrat, hat diese Eigenschaften zweifellos begünstigt. Ein sehr aktuelles Beispiel findet sich auch im Nachbarland Slowakei: Nach der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová kam die slowakische Regierung schwer unter Druck. Doch statt Vorwürfe der Mafia-Verbindungen zu entkräften, erreichte der Premierminister und frühere Kommunist Robert Fico den Tiefpunkt der politischen Geschmacklosigkeit: Da war erstens die Pressekonferenz, an der er eine Million Euro als Kopfgeld auf die Täter aussetzte. Kommentatoren beschrieben diese Show als lupenreinen Mafia-Stil. Zweitens verstieg sich Fico in eine Verschwörungstheorie gegen den slowakischen Präsidenten Andrej Kiska. Auf dessen scharfe Kritik entgegnete der Premierminister, dass Kiska zusammen mit ungarisch-amerikanischen Milliardär George Soros den Sturz seiner Regierung betreibe. Damit begab sich Fico in Gesellschaft zu rechtsextremen Websites, die Soros schon seit einiger Zeit als Kopf einer Weltverschwörung bezeichnen.

 

Gefragt: Authentizität und Engagement

 

An genau diesem Punkt scheinen die heutigen und früheren Kommunisten verwundbar zu sein: In ihrer Weltsicht hat es für Prinzipien wie Wahrhaftigkeit und Gemeinwohl wenig Platz. Alles wird von einem erbarmungslosen Wettstreit der Interessen geleitet. Vor 1989 kultivierte Feindbilder über den westlichen „Imperialismus“ leben in abgewandelter Form weiter. Es würde nicht verwunden, wenn einige der Protagonisten im Kern tatsächlich an ein Komplott glauben. Denn wenn alles muss von irgendwem gesteuert ist, kann es echtes zivilgesellschaftliches Engagement nicht geben. Gegen diese Sichtweise müssen die gegenwärtig Protestierenden einen Trumpf ausspielen: Mit der Kraft ihrer echten Überzeugung sind sie stärker als eine politische Elite, die bloß in Machtkategorien denkt. Nur Pfeifkonzerte auf dem Wenzelsplatz reichen dafür aber nicht aus. Es braucht auch ein neues politisches Engagement: Denn neben den (Ex-)Kommunisten haben mit Skandalen und überheblichem Auftreten auch die klassischen Mitte-Rechts-Parteien ihren Kredit verspielt. Frische und authentische Alternativen sind bereits da: Dazu könnte man die tschechische Piratenpartei und verschiedene Präsidentschaftskandidaten der Wahl im vergangenen Januar zählen. Und um auf den Fall Ondráček zurückzukommen: Die Proteste der letzten Tage haben gezeigt, dass das kommunistische Schreckgespenst in Tschechien noch immer große Mobilisierungskraft hat. Die historische Sensibilität ist begrüßenswert. Man muss aber auch die richtigen Schlüsse für die Gegenwart ziehen und kommunistische Praktiken nicht nur auf die KSČM reduzieren. Sonst könnte man auf das billige Argument des rechtskonservativen tschechischen Politikers Václav Klaus ml. hereinfallen: Demnach endete der Kommunismus  im Jahre 1989 und stellt heute „keine Gefahr“ mehr dar.

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Kommentare: 1
  • #1

    Jakobsmeier (Freitag, 16 März 2018 10:13)

    Ausgezeichnete Analyse!